Fortsetzung:
K. T. Blumberg seilt sich jedoch von den Landschaftsaufnahmen ab, indem sie auch Menschen fotografiert. Mittendrin findet sich eine Nahaufnahme eines Kindes, das hoch konzentriert und trotzdem
gleichzeitig auch in Gedanken verloren über die Schulter eines Mannes blickt, im Hintergrund eine verschwommene Backsteinmauer. Dieser eingefrorenen Lebendigkeit folgt wieder ein Stillleben: ein
Dreirad, eine alte Schulmappe und ein Schlitten sind auf einem Autodach festgezurrt. Es regnet, und dieser Regen macht die Fotografie zu etwas Tragischem, was aber auch Aufbruch verheißt. Und
immer wieder Wasser: Die Oder dient als Symbol der Grenze, die zwei Staaten trennt, deren Geschichte sie zugleich unterschiedlich und unzertrennlich gemacht hat.
Dieses Motiv der Trennung taucht immer wieder auf, etwas Dazwischenstehendes, was den Blick des Betrachters trübt: Sei es der Nebel in einer Brückenlandschaft oder die leicht vergilbten Vorhänge
eines Fensters. Alles geschieht mit einer gewissen Distanz, allerdings ist in Blumbergs Bildern oft ein Aufbruch integriert: Es ist immer offen, wohin die Reise geht, ob mit dem Auto, dem Schiff
oder zu Fuß. Menschen sind unterwegs, um Neuland zu erkunden oder irgendwo anzukommen; und genau dieses Unterwegssein macht die Faszination für Blumberg aus: „Ich möchte mittendrin sein“, sagt
sie. „Und vielleicht auch Brücken bauen.“
Doch was bedeutet der östliche Nachbar Polen für Deutschland, was macht die Grenze eigentlich aus? Auf dieser Suche trifft man auf die geschundene, traurige Seele Polens, eines Landes, das immer
unterdrückt wurde. „Noch ist Polen nicht verloren“, lautet die erste Zeile der Nationalhymne, mittlerweile schon ein geflügeltes Wort. Dieses Aufbegehren, dem gleichzeitig eine gewisse
Trübsinnigkeit innewohnt, findet man auch in der farbigen Freude der Momentaufnahmen wieder, oder will es einfach finden.
Gewisse Motive tauchen eben immer wieder auf: die Kinder in unschuldigem Weiß bei einer Kommunionsfeier, mit gefalteten Händen, ganz am Rand wie zufällig der polnische Adler als verblasste
Tätowierung auf einem Arm, und im nächsten Foto die gesichtslose Darstellung der Jungfrau Maria mit dem Jesuskind: Der Rahmen fleckig, die Gesichter hinuntergefallen, dieses Bild hat beinahe
etwas Blasphemisches in einem so konservativ-katholisch geprägtem Land. Blumberg hat den Blick dafür: „Diese katholische Ikonografie gibt es in Deutschland einfach nicht“, sagt sie. „Auch wenn
die Gesellschaft so langsam dagegen aufbegehrt.“ Und immer wieder taucht symbolisch die Fixierung auf die eigene Geschichte auf, ein typisch polnisches Phänomen: „Die Geschichte sieht man ganz
oft genau dort, wo man sie gar nicht erst vermutet: auf den Dörfern. Da steht eben auf einmal ein Panzer. An so etwas kommt man nicht vorbei.“ Aber was so ernst und vergangenheitsverwurzelt
wirken mag, ist oftmals gar nicht so bedrohlich. „Der Pole nimmt sich aber selbst gern auf die Schippe“, weiß Blumberg. So viel Symbolik lädt eben auch zum Spielen ein.
Folgt man von links nach rechts den Fotografien von Wojtek Skowron, dann erkennt man eine Reise von West nach Ost, das erste Bild ist ein verfallener Raum in Franken, das letzte die
Weichselmündung östlich von Danzig. Skowron sucht nicht wie Blumberg die Grenze, er geht mitten hinein und findet die Motive im Land selbst, wie in Wolin an der polnischen Ostsee (Foto), abseits
touristischer Strandbadidylle. Bei Skowron findet sich wie bei Blumberg diese angenehme Trübsinnigkeit, die der Landschaft eine Seele gibt. Bei manchen Bilder ist eindeutig, dass sie in Polen
gemacht wurden, bei anderen ist dies völlig unklar, etwa bei einem Bild eines Berliner U-Bahnhofs der Linie 7. Erstaunlich, wie schnell man da in der Falle sitzt und versucht, Polen
hineinzuinterpretieren. Skowron spielt eben gern, was man auch in seiner Videoinstallation sieht: ein schrill-blinkender surrealer Trickfilm in Zeitlupe, mit einer an Walgesänge erinnernden
Musik, seltsamen Kreaturen, die pulsierend den Bildschirm passieren wie in einer Unterwasserwelt, ein schräger Kontrapunkt zu den unkommentierten Landschaftsaufnahmen im Nebenraum. Skowron, der
sich auch im interkulturellen „Club der polnischen Versager“ engagiert, beschäftigt sich hauptsächlich mit Animationsfilmen, Fotografie gehört aber mit dazu: „Ich suche nicht nach dem Typischen,
sondern nach dem Unerwartet-Schönen“, sagt er. Und das trifft es recht gut.